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Angst essen Film auf
Herausgegeben von: Gregor Maria Schubert, Johanna Süß und Kenneth Hujer

Im Dunklen ist es unheimlich. Im Kino suchen wir die Dunkelheit auf. Licht wirft dort eine Welt auf die Leinwand, in der wir uns bisweilen gruseln, fürchten, ängstigen. Immerhin: Wir sind nicht allein, um uns herum sitzen andere Menschen, bekannte, mehrheitlich unbekannte. Wir wähnen uns in Sicherheit. Vielleicht trauen wir uns gerade deshalb, uns im Kino auf die Reise hin zu unseren Ängsten zu begeben. Dass wir im Kino überhaupt Angst haben können, beweist, dass wir Menschen soziale Wesen sind. „Im Kino gewesen. Geweint.“ notierte Kafka lakonisch in sein Tagebuch. Er hätte auch schreiben können: „Im Kino gewesen, Angst gehabt“. Wir fühlen im Kino mit den Leinwandhelden, die von uns getrennt sind und doch so nah. Wir können unser Schicksal nicht ganz von dem ihren trennen. Wie in keiner anderen Kunstform, ergreift, berührt und ängstigt uns ihr erzähltes Leben. Manchmal halten wir uns vor Angst gar die Augen zu. Neben dieser mitfühlenden Angst gibt es aber auch eine Angst, die gerade aus der Trennung von dem Geschehen auf der Leinwand herrührt. Uns packt diese Angst, weil die Leinwandhelden nicht verstehen, dass eigentlich sie es sind, die Angst haben müssten.

Angst ist das Gefühl unserer Zeit, prägend und allgegenwärtig. Klimawandel, Kriege, technische Transformationen wie die der Künstlichen Intelligenz, die Krise westlicher Demokratien und die geopolitische Neuordnung der Welt – all das reflektiert und verdichtet sich in unserer Angst. Auch die Filmlandschaft bleibt davon nicht unberührt, im Gegenteil: Themenfelder wie Ökologie, Politik und KI betreffen ihre Produktion unmittelbar. Während die ökologische Krise die gängigen Herstellungspraktiken in Frage stellt, gefährden rechtspopulistische Tendenzen sowohl gesellschaftliche Minderheiten als auch die Freiheit der Kunst.
Nicht wenige Filmschaffende befürchten, durch KI entweder in ihrer kreativen Arbeit eingeschränkt oder gar ersetzt zu werden. Zudem wächst die Sorge, dass ihre Werke durch KI-generierte Inhalte urheberrechtlich verletzt werden könnten. Ferner ist das künstlerische Filmschaffen von Unwägbarkeiten und Abhängigkeiten der Förderpolitik geprägt. „Eure Angst tötet unsere Kreativität, unsere Ideen, unsere Lust am Schaffen.“ So wandten sich über 300 junge Filmschaffende in Form eines Appells auf dem 3. Kongress Zukunft Deutscher Film an die Öffentlichkeit und zielten insbesondere auf die Finanzierungs- und Denklogik der Branche.

Die Filmkultur wird von der Angst aber nicht nur heimgesucht. Von Beginn an spürt sie dieser menschlichen Grundemotion nach und verschafft unseren Phobien einen vielgestaltigen Ausdruck. Im Laufe seiner Geschichte hat das Kino zudem eigene Angst-Genres wie den Horrorfilm oder Psychothriller ausgebildet, um Angst gezielt herbeizuführen. Wie ein Trainingslager der Angst vermag es das Kino, sein Publikum leibhaftig zu ängstigen – im besten Fall, um sich diesem Gefühl lustvoll zu stellen und daran zu wachsen. Verhaltenstherapeutisch gestärkt (oder geschwächt?) verlassen wir den Kinosaal anders, als wir ihn betreten haben.
Im Kontext der Angst als Genre, Stoff, Befindlichkeit, Widersacherin und Ausdruck einer Zeitenwende findet vom 22. bis 25. April 2025 der 5. Kongress Zukunft Deutscher Film in Frankfurt am Main statt. Die vorliegende Broschüre möchte auf den Kongress einstimmen und ihn begleiten, selbstredend auch über ihn hinaus als wertvoller Impulsgeber dienen. Die für Kongress und Broschüre titelgebende Fassbinder-Anlehnung „Angst essen Film auf“ wurde übrigens bereits 2018 für den ersten Kongress geprägt – als Teil einer damals erfolgreichen Kommunikationskampagne.

„Es sind neue Kräfte am Werk, die die alten Ängste wieder beleben", schreibt Georg Seeßlen in seiner für uns verfassten Einleitung, die wir dem „Angst-Kapitel“ aus seinem 1980 erschienenen Klassiker Kino der Angst vorangestellt haben. Diese neuen Kräfte, von denen Seeßlen schreibt, waren nicht nur im Erscheinungsjahr seines Buchs, sondern selbst 2018 so noch nicht abzusehen. Neben Seeßlens Beitrag enthält die Publikation Aufsätze zu den Hoffnungen und Ängsten junger Filmschaffender, dem Bürokratie-Wahnsinn im deutschen Filmbetrieb, der German Angst und dem Horrorfilm. Weitere Beiträge befassen sich mit der Angst im Film, der Zeitdiagnose Angst sowie dem Kino als sicherem Ort gegen die Angst und als Ort der Zukunft. An anderer Stelle finden sich streitbare Thesen zur Angst sowie Gedanken zu Robert Kramer und zum Kino im Zeitalter der Angst.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre.
Kenneth Hujer, Johanna Süß und Gregor Maria Schubert